Wer im August bei Thorsten Larschow in Cuxhaven ein Fahrrad kaufen wollte, musste sich mit einer winzigen Auswahl begnügen. Larschows Lager war leer – wie die seiner Kollegen und Kolleginnen in ganz Deutschland. Im Zuge der Corona-Pandemie hatten die Menschen Räder gekauft wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Sämtliche Fahrradgattungen vom Faltrad bis zum E-Mountainbike waren im Sommer vergriffen. Nur wer viel Glück hatte, fand sein Traumrad in der passenden Größe direkt im Laden. In der Regel mussten die Kunden und Kundinnen aber monatelang auf Nachschub warten.

Das wird auch fürs Erste so bleiben. Es ist davon auszugehen, dass der Ansturm auf die Fahrradläden anhält. Viele Bikes, die jetzt ausgeliefert werden, sind bereits reserviert. "Die Zahl der Vorbestellung hat sich bei mir im Herbst vervierfacht", sagt Larschow. Laut den Verbänden haben die Händler deshalb rund 30 Prozent mehr Bikes bei den Lieferanten bestellt als in den Vorjahren. Ob sie tatsächlich produziert werden können und ob dieser Puffer ausreicht, ist noch nicht sicher.

Im vergangenen Jahr wurden nach Schätzungen des Zweirad-Industrie-Verbands rund eine Million mehr Räder verkauft als in den Vorjahren. Das funktionierte, weil die Lager der Händler und Hersteller im Frühjahr voll waren und ab September bereits die neuen Modelle für 2021 ausgeliefert wurden. Diese Reserve fehlt jetzt. Spätestens im Sommer wird deshalb die Auswahl für Kundinnen deutlich schrumpfen.

Die Produktion steigern dauert lange

Mit Fahrrädern ist es wie mit anderen aufwendigen Waren: Die Produktion kann nicht auf Zuruf sofort gesteigert werden. Hinzu kommt, dass die Vorlaufzeiten bei Fahrrädern deutlich höher sind als bei Masken. Der Großteil der Räder, die momentan hergestellt werden, ist längst Fahrradhändlern auf der ganzen Welt versprochen. Gebaut werden sie beispielsweise von Derby Cycle, dem größten Fahrradhersteller Deutschlands. Zu ihm gehören unter anderem Marken wie Kalkhoff, Focus und Raleigh. In dem Werk im niedersächsischen Cloppenburg fertigen 600 Mitarbeiter täglich zwischen 1.000 bis 1.400 Sport- und Cityräder mit und ohne Motor. Jedes hat ein Fahrradhändler in einer spezifischen Ausstattung und Farbe bereits im Vorjahr bestellt. Die Manufakturen bauen nur das, was in den Auftragsbüchern steht, und liefern die Räder zum vereinbarten Zeitpunkt aus.

"Wenn ich 100 Trekkingräder bestelle und 25 bereits für Kunden reserviert sind, bekomme ich von März bis Juli jeden Monat 15 Räder geliefert", sagt Larchschow. Entwickelt sich ein Modell zum Verkaufsschlager, ordert er nach. Damit rechnen die Hersteller. "Wir planen immer einen Puffer ein", sagt Arne Sudhoff, Pressesprecher bei Derby Cycle. Bei Dauerbrennern wie Tiefeinsteiger mit Mittelmotor sei die Reserve größer, bei besonderen Modellen kleiner.

Lange waren die Verkaufszahlen gesunken

Für den Ansturm der Käuferinnen 2020 reichte der Puffer nicht. Zumal es die Kehrtwende eines langen Trends war. Zwar gaben die Kunden seit Jahren mehr Geld pro Rad aus (2019 mit 982 Euro im Schnitt mehr als doppelt so viel wie noch 2010 mit 460 Euro) – was in Teilen auf den E-Bike-Boom zurückzuführen ist –, aber die Verkaufszahlen waren seit Beginn des neuen Jahrtausends permanent gesunken. Von rund fünf Millionen deutschlandweit in den Neunzigerjahren auf rund vier Millionen 2009. Auf diesem Level hatten sich die Verkäufe eingependelt.

Im Sommer waren dann plötzlich "90 Prozent der Lieferanten ausverkauft und mit ihnen der Fachhandel", sagt Uwe Wöll, Geschäftsführer vom Verbund Service und Fahrrad (VSF). Was es noch gab, stand in den Läden. Hersteller wie Canyon, die ohne Zwischenhändler direkt an die Kunden ihre Räder liefern, konnten laut Unternehmenssprecher Thorsten Lewandowski schnell auf den Boom reagieren. "Wir haben stark nachgefragte Räder in der Produktion vorgezogen", sagt er. "Wir erleben momentan Rekordordern und können sie auch verschicken", sagt er. Um über 30 Prozent zum Vorjahr sei der Umsatz von Canyon 2020 gewachsen.