Steuerhinterziehung:Ein Kniefall vor dem großen Werner Mauss

Das Bochumer Landgericht lobt die Lebensleistung des einzigen deutschen Undercover-Agenten und ahndet dessen Steuerhinterziehung mit einem überraschend milden Urteil.

Von Ralf Wiegand, Bochum

Er hat Geiseln aus dem kolumbianischen Dschungel befreit, Terroristen aufgespürt, verschollenes Raubgut wiederbeschafft, er war in 100 verschiedenen Identitäten auf der ganzen Welt unterwegs und hatte einen heißen Draht ins Bundeskanzleramt: Man darf diesem Werner Mauss also einiges zutrauen. Doch dass er das Landgericht Bochum, in dem mehr als ein Jahr lang über ihn verhandelt wurde, als freier Mann verlassen darf, ist vielleicht der größte Coup des einzigen bekannten deutschen Undercover-Agenten. Sechs Jahre und drei Monate wollte die Staatsanwaltschaft den heute 77-jährigen Privatermittler hinter Gittern sehen, weil sie davon überzeugt ist, dass Mauss über einen Zeitraum von zehn Jahren Steuern in Höhe von 13,2 Millionen Euro hinterzogen hat. Das Gericht sah den Vorwurf der Steuerhinterziehung zwar als erwiesen an, errechnete aber ein vollkommen anderes Strafmaß: zwei Jahre auf Bewährung. Herr Mauss ist raus.

Ein letztes Mal lieferte Werner Mauss, der Zeit seines Lebens im Geheimen operierte, am Montag sein bereits zum Ritual gewordenes Versteckspiel und zog die Kapuze seiner Daunenjacke weit über den Kopf, um aktuelle Fotos von sich zu verhindern. Die Jacke hatte er am ersten Verhandlungstag und an jedem weiteren der beinahe 30 Termine dabei, wie einen Panzer aus Gänseflaum trug er sie, wenn ihm danach war. Mauss will keine öffentliche Person sein, denn das passt nicht zum Image des Geheimagenten. Und er will nicht, dass er der Öffentlichkeit als möglicherweise zwielichtiger Steuerhinterzieher in Erinnerung bleibt, als einer, der - wenn er schon gegenüber dem Finanzamt nicht ehrlich war - auch noch anderes angestellt haben mag. Kritik an Mauss' Methoden gab es zu allen Zeiten; Parlamente, Geheimdienste und Journalisten haben sich daran abgearbeitet. Mauss aber möchte zu den Guten gehören, unbedingt, er will die Deutungshoheit über sein Lebenswerk behalten. Wer will das nicht?

"Eine große Lebensleistung, vor der das Gericht höchsten Respekt hat"

Das Gericht ließ nun in seinem Urteil keinen Zweifel daran, dass es Mauss für einen der Guten hält. "Eine große Lebensleistung" sei das, sagte der Vorsitzende Richter Markus van den Hövel, "vor der das Gericht höchsten Respekt hat." Er mahnte die Öffentlichkeit, die Mauss gerne spöttisch als "deutschen James Bond" beschreibe, einmal daran zu denken, wie das wäre, wenn ein enger Verwandter im kolumbianischen Dschungel entführt worden wäre, der sei "faktisch tot - und dann kommt er und haut ihn raus". Mauss habe sich in seinem ganzen Leben nichts, "aber auch gar nichts zuschulden kommen lassen", sagte der Richter. Es klang wie ein Kniefall vor dem großen Werner Mauss.

Dennoch habe er Steuern hinterzogen, das sieht auch das Gericht als erwiesen an. Allerdings handele es sich eben um kein normales Steuerverfahren, bei dem man "wie in einer Mathematikvorlesung" ein paar Summen zusammenrechne, einen Computer füttere und dann ein Betrag herauskäme. Der Geheimagent Mauss operiere nun mal auf einem anderen Feld, es handele sich daher um eine "hochkomplexe Prozessstruktur". Schon die Frage, ob es überhaupt sein Geld gewesen war, über das hier verhandelt wurde, sei kaum zu klären gewesen. Darüber hinaus habe das Gericht - das betonen die Richter immer wieder - versucht, "dem Menschen Werner Mauss" gerecht zu werden.

Letztlich folgte das Gericht einer späten Eingebung der Verteidiger, die die Steuerhinterziehung bestritten und auf Freispruch plädiert hatten. Denn: Wenn man von einer Steuerpflicht des Angeklagten ausgehe, so argumentierte die Verteidigung, hätte er auch Betriebskosten von seinen Einnahmen abziehen dürfen. Und genau eine solche Betriebskostenaufstellung hatte Mauss selbst "in akribischer Kleinarbeit" erstellt und noch kurz vor Prozessende zu den Akten gegeben, wie einer seiner Anwälte anmerkte. Darin ordnete er seine vielen Barentnahmen den Kosten für seine Einsätze in aller Welt zu. Geiselbefreiung hier - 1,6 Millionen; Flugzeug anmieten dort - 250 000 Euro; einen Opernsänger zur Unterhaltung eines Inhaftierten ins Gefängnis schmuggeln: insgesamt eher teuer.

Dieser Argumentation folgte das Gericht nun in seiner Urteilsbegründung. Mauss habe im fraglichen Zeitraum 35 Millionen Euro eingenommen, die Zinsen von einem in Luxemburg angelegten Vermögen. Mauss habe fälschlicherweise angenommen, dieses Geld nicht versteuern zu müssen, weil er der Meinung war, es gehöre gar nicht ihm. Ein "Geheimbund" westlicher Dienste habe ihm das Geld als Treuhandfonds zur Verfügung gestellt, schon 1985, damit er weltweit als Agent unterwegs sein konnte, ohne zum Beispiel vor deutschen Kontrollorganen Rechenschaft abgelegen zu müssen. Mauss will damit Informanten bezahlt, konspirative Wohnungen gemietet, Satellitentelefone angeschafft und humanitäre Hilfsleistungen in Krisengebieten geliefert haben.

Nach Ansicht des Gerichts ist die Existenz dieses sogenannten Treuhandsfonds, von dem Mauss profitiert haben will, weder erwiesen noch widerlegt. Mauss führte dieses Geld durch verschiedene Stiftungen und Länder bis in eine Lombard-Lebensversicherung. Irgendwo auf diesem Weg, so das Gericht, sei es sein Geld geworden - unabhängig davon, woher es ursprünglich stammte. Mauss hatte umfangreiche Nachfolgeregelungen für seine Kinder getroffen, finanzielle Verfügungen für mögliche Enkel und Ex-Ehefrauen eingerichtet, sogar seine Schwiegermütter bedacht. Als Höhepunkt war die Umwandlung seines Anwesens im Hunsrück in ein Museum - eine Art "Maussoleum" - vorgesehen, falls es keine leiblichen Erben geben sollte. Das alles könne man nicht tun, sagte der Richter, wenn es sich um Geld anderer Leute handele.

All die Ungereimtheiten des Verfahrens wogen offenbar nicht schwer

Also hätte Mauss das Geld versteuern müssen, habe das aber womöglich "nicht erkannt" und einfach "weitergemacht wie bisher". Man müsse ihm zugutehalten, dass ihm die steuerrechtliche Relevanz nicht bewusst gewesen sei, wenn das Geld wie sein eigenes zu betrachten wäre. Das heißt aber auch: Er hätte, wenn er die 35 Millionen Zinseinnahmen zwischen 2002 und 2011 ordentlich angegeben hätte, beim Finanzamt Essen-Süd auch die Ausgaben für seine weltweiten Einsätze geltend machen können. Das Gericht akzeptierte also die Betriebskostenliste, die Mauss aus seiner Erinnerung heraus und aus seinen Aufzeichnungen erstellt hatte. 29 Millionen ungefähr betrugen demnach seine Ausgaben, er hätte also nur etwa sechs Millionen Euro versteuern müssen. "Hätte er seine Einnahmen ordentlich deklariert", sagte Richter van den Hövel, "hätte der Fiskus von ihm nicht 13,2 Millionen Steuern, sondern lediglich zwei bis maximal 2,3 Millionen bekommen." Das müsse man nicht, könne man aber strafmildernd berücksichtigen - und genau das habe das Gericht aufgrund der Lebensleistung von Werner Mauss auch getan.

Dass Mauss vier Monate lang einen geheimnisvollen Zeugen ankündigte, der nie kam, dass im Gericht Zweifel an der Echtheit von Unterschriften auf Dokumenten aufkamen, dass der Angeklagte immer neue Varianten zu dem mal in Kolumbien, mal im Vatikan und mal in Israel verwalteten "Treuhandfonds" auftischte - das alles wog nicht schwer. Der Angeklagte muss sich jetzt drei Jahre lang anständig verhalten und 200 000 Euro Geldbuße für karitative Zwecke zahlen - dann ist das fast fünf Jahre dauernde Steuerverfahren Geschichte.

Ob Mauss diese Auflagen akzeptieren wird, ist aber noch nicht sicher. "Ich bin Werner Mauss, ich sage immer die Wahrheit", sagte er in einer Verhandlungspause der SZ, sein Selbstverständnis ist das der kompletten Rehabilitierung, nicht der eines auf Bewährung Verurteilten. Die Verteidigung ließ wissen, dass sie vorsorglich Revision einlegen wird, um nach der schriftlichen Urteilsbegründung die Möglichkeit zu behalten, den Schuldspruch anfechten zu können. "Wir hätten uns ein besseres Ergebnis erhofft", sagte Rainer Hamm, einer der zahlreichen Mauss-Verteidiger. Auch für sie gehört Mauss zu den Guten. Die Staatsanwaltschaft, die schwer geschlagen das Gericht verließ, sieht das naturgemäß anders - und prüft ihrerseits Revisionsgründe für das aus ihrer Sicht überraschend milde Urteil.

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