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Artikel 21 / 91

Die Kumpels von »Target 21«

Der ominöse deutsche Versicherungsdetektiv Werner Mauss steht im Verdacht, einen der höchsten belgischen Polizeioffiziere bestochen und den staatlichen Ermittlungsapparat für private Zwecke mißbraucht zu haben. Zeitweise wurde offenbar sogar Interpol für Intrigen des Privatagenten eingespannt.
aus DER SPIEGEL 24/1992

Der Brüsseler Untersuchungsrichter Bruno Bulthe hatte den Auftrag, einen massiven Polizeiskandal in der Hauptstadt des Königreiches aufzuklären. Belgische Zeitungen, voran der flämische De Morgen, hatten berichtet, daß Polizeioffiziere in organisierten Steuerbetrug und seltsame Geschäfte mit Waffen und Sex verwickelt seien.

Die schwersten Vorwürfe richteten sich gegen Frans Reyniers, 58, den Chef der mächtigen Brüsseler Kriminalpolizei, der faktisch auch Abteilungen für organisiertes Verbrechen und Interpol-Angelegenheiten in der belgischen Hauptstadt dirigiert hat.

Eine Hausdurchsuchung bei dem belgischen Interpol-Chef förderte Überraschendes zutage. Kollegen des mittlerweile vom Dienst suspendierten Reyniers fanden ein Faxgerät, das nicht aus Dienstbeständen stammte, und eine raffinierte private Telefonanlage. Heikelste Entdeckung: Belege für ein Reyniers-Konto, auf das allmonatlich 1000 Mark von einem Konto bei der Essener Filiale der Dresdner Bank eingezahlt worden waren.

Nun prüft Ermittlungsrichter Bulthe, ob Reyniers jahrelang ohne polizeilichen Auftrag einem deutschen Privatdetektiv gedient und ihm gegen Geld den belgischen Polizeiapparat zur Verfügung gestellt hat. Der Name des deutschen Hintermannes: Werner Mauss.

Damit kommt erneut ein Mann in die Schlagzeilen, um den es in jüngster Zeit still geworden war: Mauss, der dubiose deutsche Detektiv mit den zwei Dutzend Alias-Namen, der mal als »Rick«, »Claude« oder »Nelson«, mal als »Horst Faber« oder »Eric Fischer« im dunkeln arbeitet und der sich von Industrieunternehmen sowie Versicherungen bezahlen und von Polizeibehörden unterstützen läßt (SPIEGEL 32/1990).

Einen deutlichen Knick bekam die Karriere von Mauss, der oft mit eigenem Flugzeug reist und häufig sechsstellige Honorare kassiert, vor drei Jahren: Im Frühjahr 1989 stellte das Landgericht Braunschweig fest, daß er Polizisten bezahlt und mit illegalen Tricks operiert hatte, um den hannoverschen Juwelier Rene Düe hinter Gitter zu bringen.

Die Mannheimer Versicherung hatte Mauss 750 000 Mark Honorar versprochen, sollte er Düe als Drahtzieher eines Überfalls auf sein eigenes Geschäft entlarven. Bei der Tat war, im Jahre 1981, Schmuck für mehr als 13 Millionen Mark geraubt worden. Die Versicherung hoffte, sich mit Mauss' Hilfe den Ersatz des Schadens sparen zu können.

Bevor Düe schließlich freigesprochen wurde, saß er über zwei Jahre lang unschuldig im Knast; mittlerweile ist er geschäftlich ruiniert. In Hannover schmort seit mehr als einem Jahr eine Anklage, die Mauss gefährlich werden könnte. Zusammen mit vier höheren Kriminalbeamten und einem ehemaligen Oberstaatsanwalt soll er sich wegen der Düe-Sache verantworten. Zentraler Anklagepunkt: Verfolgung Unschuldiger. Mauss, der bisher nie zu fassen war, soll damit erstmals vor Gericht kommen.

Bei seinen Untersuchungen in Brüssel kam Richter Bulthe dahinter, daß der belgische Interpol-Chef Reyniers auch in der Düe-Sache illegal mitgefingert hatte. Von der »Gerichtspolizei Brüssel« stammte 1982 der gezielte Hinweis, Düe wolle in einem Bremer Hotel Preziosen verschieben - angeblich Schmuck aus dem Überfall auf sein Geschäft.

In Wahrheit hatte Mauss eine Intrige gegen Düe gesponnen, zusammen mit der hannoverschen Polizei, die dem findigen Detektiv willig folgte. Teil des abgefeimten Plans: Mauss fuhr zusammen mit dem hannoverschen Kriminalrat Manfred Bertram eigens nach Brüssel, um Reyniers zu veranlassen, das Telex zu senden, das schließlich zur Verhaftung von Düe beitrug.

Später konnte Reyniers dem Detektiv in gleicher Sache noch einmal behilflich sein. Um zu verhindern, daß Mauss in dem manipulierten Düe-Prozeß öffentlich auftreten mußte, schickte Reyniers Brandbriefe aus Belgien: In Brüssel lägen »vertrauliche Informationen« vor, daß auf das Leben von »Claude« »ein Anschlag« verübt werden solle. Unter dem Namen »Claude« geisterte Mauss damals durch die Gerichtsakten.

Reyniers behauptet heute, mit der erfundenen Warnung lediglich »Freundschaftsdienste« für den deutschen Detektiv geleistet zu haben - angeblich ohne zu wissen, daß er damit illegale Machenschaften unterstützte.

Problematisch ist die Dienstleistung in jedem Fall: Mauss verfügte nie über die Legitimation einer deutschen Behörde, die ihn ermächtigt hätte, ausländische Beamte für sich einzuspannen. Reyniers ließ sich, wie deutsche Polizisten auch, von Mauss einwickeln, der mit Geld, Beziehungen und Flugzeug protzen konnte.

Der belgische Kommissar und der deutsche Detektiv kennen sich seit 1971. Erstmals schaltete Mauss Reyniers ein, als er in ganz Europa auf der Suche nach den aus der Haft entsprungenen Bankräubern und Polizistenmördern Alfred Lecki und Helmut Derks war.

Im Jahre 1976, so fand Ermittler Bulthe heraus, erbat Mauss von Reyniers die Unterstützung durch zwei Beamte. Der deutsche Detektiv war damals gerade in Griechenland unterwegs, um Verbrecher zu fangen. Tagelang flogen die Polizisten Georges Marnette und Jean-Paul Peelos auf Geheiß von Reyniers in Europa hin und her, ohne je zum Einsatz zu kommen.

Als die Abwesenheit der Beamten in Brüssel allmählich auffiel, wies Reyniers seine Untergebenen an, wenigstens für einen Teil der Zeit Urlaubstage in Anspruch zu nehmen. Es sollten nicht zu viele Fehltage im Amt entstehen.

Neben Mauss gerieten noch andere seltsame Ermittler aus Deutschland an den belgischen Kommissar. Noel Gilisen, 54, genannt »Niko«, ein Belgier mit Söldnererfahrung im Kongo, wurde zu Beginn der achtziger Jahre Mitarbeiter von Reyniers, eine Art Leibwächter. Zuvor, von 1976 bis 1980, war Gilisen V-Mann des Bundeskriminalamtes (BKA) in Wiesbaden gewesen, bis ihn deutsche Staatsanwälte auf die Fahndungsliste setzten, weil er seine Verbindung zur Polizei für kriminelle Extratouren mißbraucht haben soll.

Die deutschen Behörden versuchten lange Zeit vergebens, Gilisen zu fassen. Immer wieder entzog Mauss-Freund Reyniers seinen V-Mann dem Zugriff der deutschen Behörden, verschaffte ihm Deckadressen und leugnete seinen Aufenthalt in Belgien.

Reyniers ermöglichte dem vom BKA Gesuchten den Besitz von großkalibrigen Waffen. Gilisen war auch Mitglied im privaten Schießklub »Target 21«, in dem eine Kumpelrunde aus Militärs, Polizisten, Geschäftsleuten, rechtsradikalen Politikern und einem Staatsanwalt zum Vergnügen mit Pistolen und Maschinengewehren ballerte.

In einem geheimen Bericht, der den belgischen Ermittlern vorliegt, heißt es, der Polizist habe zu seinem kriminellen Schützling »ein mehr als nur berufliches Verhältnis« unterhalten. Nun ermitteln die Belgier, ob ihr einstmals renommiertester Polizeioffizier auch im eigenen Interesse handelte: Gilisen soll Steuerbetrug organisiert und sich noch auf andere krumme Touren begeben haben.

Gilisen war unter anderem Mitinhaber des nach einer Hausdurchsuchung stillgelegten Bordells »Orchidee« an der Autobahn Aachen-Brüssel, das, so vermuten die belgischen Fahnder, zum Waschen von Schwarzgeld gedient hat. Sein Kompagnon im Puff-Geschäft war der ehemalige Kripo-Kommissar Hans-Georg Haupt, 61, vormals V-Mann-Führer von Mauss beim BKA.

Dem Polizeioffizier Reyniers könnte seine Neigung zu unkonventionellen Ermittlungsmethoden zum Verhängnis geworden sein. Seit er Ende der Sechziger einen Schulungskurs bei der US-Drogenfahndungsbehörde absolviert hatte, war er ein begeisterter Anhänger amerikanischer Techniken - etwa der Provokation von Verbrechen und der Infiltration des kriminellen Milieus.

Dieses Faible teilte er mit Mauss, der seine Erfolge meist dem Umstand zu verdanken hat, daß er von seinen Auftraggebern mit enormen Geldsummen ausgestattet wird und sich nicht den Polizeigesetzen verpflichtet fühlt.

Zur »Methode Mauss«, wie seine Vorgehensweise im BKA genannt wurde, gehörte es offenbar, sich als Privatmann Zugang zum Polizeiapparat mit all seinen personellen und technischen Möglichkeiten zu verschaffen - bis hin zu geheimem Datenmaterial. Wie die Methode im einzelnen funktionierte, konnte Untersuchungsrichter Bulthe an einem belgischen Aktenkonvolut aus dem Jahre 1984 studieren.

Am 27. März 1984 schickte Reyniers aus Brüssel Fernschreiben an seine Interpol-Kollegen in Rom und Paris: Der Deutsche Ferdinand Graf von Galen sollte diskret bewacht werden. Der Adlige, der mit der Concorde aus den USA auf dem Weg nach Europa war, stand angeblich im Verdacht, Geschäfte mit Drogen und verbotenen Technologie-Exporten in den Ostblock zu tätigen.

Bald wollten Reyniers und dessen Auftraggeber Mauss herausgefunden haben, daß Mitglieder des gräflichen Gefolges beabsichtigten, sich mit Bekannten der deutschen Millionenerbin Christina von Opel im schweizerischen St. Moritz zu treffen. Die junge Frau war 1977 an der Cote d'Azur hinter Gitter gekommen, weil bei ihr 1,6 Tonnen Haschisch gefunden worden waren. Gut drei Jahre später war sie auf dem Gnadenweg wieder freigekommen - eine Geschichte ganz nach dem Geschmack des phantasiebegabten Mauss.

Von Interpol Washington erbat Reyniers am 3. April umfangreiche Auskünfte aus der amerikanischen Steuererklärung des Grafen und Mitteilungen über den privaten und geschäftlichen Umgang des Deutschen, der die spektakuläre Pleite der Frankfurter SMH-Bank im November 1983 zu verantworten hatte. In den USA stand der Adlige im Verdacht, dem deutschen Konkursrichter eine 20-Millionen-Dollar-Ranch in Tucson (Arizona) durch juristische Winkelzüge vorzuenthalten.

Gut eine Woche später war der Krimi jäh zu Ende: Interpol Washington fragte fernschriftlich bei den Kollegen in Brüssel an, ob dort ein Polizist namens Reyniers und ein deutsches Ehepaar »Heintz und Eda Lange« bekannt seien. Die drei hätten »informelle Gespräche« mit FBI-Agenten gesucht, um den »betrügerischen Konkurs« von Galens und »internationalen Heroinhandel« aufzuklären. Weil Unklarheiten über Identität und Auftrag bestanden, hatte das FBI die drei Europäer erst mal in ihrem Hotel in Washington festgesetzt.

Das BKA in Wiesbaden, ebenfalls um Auskunft ersucht, telexte nach Washington, das Ehepaar Lange gehöre nicht dem BKA an. Es sei jedoch möglich, daß die beiden auf eigene Faust oder im Auftrag von Versicherungen ermittelten. Die Wiesbadener vermuteten hinter dem Ehepaar Lange zu Recht das Ehepaar Mauss: Die beiden hatten Jahre zuvor Tarnpapiere auf diesen Namen bekommen.

Reyniers, der damals knapp einer disziplinarischen Bestrafung entging, mußte in Brüssel kleinlaut zugeben, im Auftrag und auf Kosten von Mauss in die USA geflogen zu sein. Sein Freund Mauss, der unbedingt Kontakt zu US-Geheimdiensten aufnehmen wollte, spreche leider nicht englisch.

Reyniers muß sich nun vorwerfen lassen, den belgischen Interpol-Apparat und geheimes Datenmaterial einem Privatmann zur Verfügung gestellt zu haben. Da interessiert die Brüsseler Justiz auch das Konto in der Essener Filiale der Dresdner Bank, von dem aus Reyniers jahrelang bedient wurde.

Reyniers behauptet, das BKA habe ihm das Geld zur Weitergabe an den deutschen Detektiv überwiesen. Ob das stimmt, haben die belgischen Ermittler noch nicht ergründen können.

Die Bank wie auch die deutschen Behörden verweigern jede Auskunft über das Konto. Selbst diplomatische Interventionen haben nicht geholfen.

Nun vermuten hohe belgische Justizbeamte, daß Mauss in Deutschland noch immer einflußreiche Freunde hat, die ihn schützen. Würde das Geheimnis um das Konto gelüftet, käme womöglich heraus, wer alles, außer Reyniers, von Mauss mit regelmäßigen Überweisungen bedacht worden ist.

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