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Canyon Future Mobility Concept Das kommt heraus, wenn ein Fahrradhersteller ein Auto baut

Dass Autohersteller zunehmend Fahrräder bauen, ist bekannt. Dass Zweiradproduzenten hingegen Autos – oder so was in der Art – zu fertigen gedenken, ist neu. Ein Besuch beim Unternehmen Canyon, das den Schritt wagen will.
Aus Koblenz berichtet Thomas Geiger
Canyon-Fahrrad mit Karosserie

Canyon-Fahrrad mit Karosserie

Foto: Canyon

Sein Unternehmen wächst seit Jahren mit zweistelligen Raten. Er beschäftigt 1200 Mitarbeiter weltweit. Und jetzt kommt noch der Corona-Boom – es läuft für Roman Arnold, Chef des Fahrradgiganten Canyon.

Doch die Begeisterung fürs Fahrrad hat Grenzen, gerade im Winter. Deshalb will Canyon das Rad neu erfinden und hat dafür das Future Mobility Concept präsentiert – eine Art Kreuzung aus Pedelec und Auto, nicht viel größer als eine Seifenkiste. Es ist das erste Produkt, das Canyon mit vier statt zwei Rädern bestückt. In etwa fünf Jahren könnte es für einen Preis von 7000 Euro auf die Straße kommen, hofft der Hersteller.

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Canyon Future Mobility Concept: Aus zwei mach vier

Foto: Canyon

Bisher gibt es lediglich eine Studie aus dem 3D-Drucker. Sie kann nicht fahren oder rollen und steht auf einem Sockel im Showroom am Stammsitz in Koblenz.

Der Mann, der hinter dem Konzept steht, heißt Sebastian Wegerle und schlurft in Flip-Flops durch die Ausstellung. Der Entwicklungschef leitet den Bereich »Urban & Fitness«, der für Canyon so etwas ist wie für Porsche der Cayenne: nicht der Kern der Marke, aber ein Motor des Wachstums. Groß geworden sind die Rheinland-Pfälzer mit Rennrädern und Mountainbikes. Sie haben Teilnehmerinnen und Teilnehmer von Weltmeisterschaften, der Tour de France, des Ironman und von Olympischen Spielen ausgestattet. Besonders viel Umsatz machen sie mit Stadträdern wie dem Commuter.

Solche Bikes sind gerade im Corona-Sommer für manche Pendler zum Autoersatz geworden, berichtet Wegerle. Doch wenn es regnet, ist für die meisten der Spaß vorbei und das Auto doch wieder erste Wahl. »Deshalb stand der Wetterschutz bei uns an erster Stelle«, sagt Wegerle und hat das Pedelec in eine Kapsel gepackt. Das hat eine beinahe konventionelle Karosserie hervorgebracht, dazu vier Räder. Zusammen ergibt sich ein Zwitter, der auf den ersten Blick eher wie ein kleines Auto aussieht als wie ein großes Fahrrad.

Natürlich weiß Wegerle, dass die Idee nicht ganz neu ist. Er verweist auf Liegeräder oder Velomobile, wie sie seit Jahren unterwegs sind. Doch während die vor allem Öko-Puristen ansprechen, ist das Canyon-Konzept mit seinem klaren Design schon etwas cooler.

Und simpler. Das Einsteigen soll so einfach sein wie bei einer Badewanne, es gibt einen längs verstellbaren Fahrersitz. Dahinter ist Platz für Einkäufe oder ein Kind. Bis zu 250 Kilo dürfen zugeladen werden. Die Kanzel lässt sich so leicht verschieben, dass man bei schönem Wetter weiterhin an der frischen Luft sitzt. »Wir würden es Targa nennen, wenn der Begriff nicht von Porsche besetzt wäre«, umschreibt Wegerle die Konzeption.

2,30 Meter lang, 1,01 Meter hoch und nur 83 Zentimeter breit ist das Konzeptfahrzeug. Nicht nur Form und Format unterscheiden es von bekannten Liegerädern, vor allem tun dies Antrieb und Einsatzgebiet. Um das Gefährt als Alternative zum Auto zu etablieren, hat sich Wegerle den Dual-Mode ausgedacht: Wenn die Straßen frei sind und der Verkehr fließt, schwimmt seine Studie mit bis zu 60 Kilometer pro Stunde im Verkehr mit. Wenn der zu stocken beginnt, limitiert man das Tempo per Knopfdruck auf 25 Kilometer pro Stunde, wechselt auf den Radweg und rollt am Stau vorbei. Das soll Pendlern Dutzende Stunden Zeit im Jahr sparen.

Trotz dieser Innovation teilt der Berliner Mobilitätsforscher Andreas Knie die Begeisterung der Canyon-Mannschaft eher nicht. »Roller, Twikes, Liegeräder, Boards und abgespeckte Autos wie den Twizy von Renault und den Ami von Citroën: Geräte für die Mobilität haben wir mittlerweile mehr als genug«, ist er überzeugt. Viele davon seien cleverer, cooler oder komfortabler als das Canyon-Konzept. Irgendwie hätten deutsche Ingenieure ein Faible fürs Tretauto, wundert sich der Experte. Solche Fahrzeuge benötigen in seinen Augen relativ viel Platz und seien recht teuer. Doch er will bei der Suche nach neuen Konzepten nicht entmutigen: »Jeder Versuch, den Menschen eine Alternative zum Auto zu bieten, ist per se eine gute Sache.«

Dass ein Auto gewordenes Fahrrad recht viel Platz benötigt, sieht auch Martin Lanzendorf, Professor am Institut für Humangeografie an der Universität Frankfurt, als Problem. »Letztlich wissen routinierte Radler, dass Regen und Schnee in deutschen Städten gar nicht so häufig sind und adäquate Kleidung das Problem vielleicht leichter löst als eine autoähnliche Überdachung.« Dennoch könnten Fahrzeuge wie das von Canyon zumindest Teil des Mobilitätsmixes der Zukunft werden.

Bis zu 150 Kilometer Reichweite

Die Kraft im Canyon Future Mobility Concept liefern zwei Motoren mit je 1000 Watt. Sie speist ein Akku von etwa 2000 Wattstunden. Doch wie beim Pedelec muss der Fahrer selbst treten, damit Strom fließt. Nur gibt es keine mechanische Verbindung zum Antrieb – die Pedale treiben einen Generator an. Je nach Grad der Unterstützung kommt man in dem knapp zwei Zentner schweren Gefährt so auf bis zu 150 Kilometer Reichweite, bevor der Akku über Nacht an die Steckdose muss. Wie beim Pedelec lässt sich der Akku ausbauen und daheim laden. Im Vergleich zum Auto soll der Antrieb laut Canyon einen vierstelligen Betrag im Jahr sparen.

Wenige Wochen nach der Premiere des Konzepts hatte Canyon bereits mit Zulieferern gesprochen, die Akku oder Antrieb beisteuern sollen. Erste Kontakte zu Karosseriebauern und Autoherstellern hat Wegerle auch schon geknüpft.

Doch damit das Fahrzeug zugelassen werden kann, müssen Vorschriften geändert werden. Bisher ist der Wechsel im Betrieb zwischen Pedelec und Leichtfahrzeug nicht erlaubt. Bevor es losgehen kann, muss Wegerle aber ohnehin noch ein paar technische Probleme lösen. Das erste hat er sich für den Sommer vorgenommen. Dann will er mit einem Prototyp zur Jungfernfahrt starten – und mit dem Konzeptmobil tatsächlich fahren.